Samstag, 26. Februar 2011

Eine Meditation in fünf Bildern

Freitag 25. Februar 2011
ca.17:00 Donje Kraljevec
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Der Einzug
Cakovec – Kroatien – letzte Station vor Kraljevec. Lautes Pfeifen durch alle Gänge, dann Rufe: "Alles Gepäck raus!" Die Koffer und Taschen werden vor dem Zug aufgehäuft. Befreit von allem irdischen Hab und Tand fährt die Karawane die letzten Kilometer bis zur Geburtsstätte. Einfahrt in Kraljevec. Die Bahnsteige reichen nicht bis zu den letzten Wagen. Fernsehkameras, Fotoapparate und Photohandys verwandeln das Zusammentreffen des dreihundertköpfigen Empfangskomitees mit der vierhundertbeinigen Zuggesellschaft in ein Medienereignis. Auf jeder Mauer und Höhe lauert ein Stativ, Mikrofone werden in Gesichtshöhe gestreckt und mittendrin eine alte Frau, die vor Rührung weint. Dann: Trommelwirbel, Bläser spielen auf. Der Mob sogt jedes Individuum in eine Marschformation quer durchs Dorf. Einzige Möglichkeit der Kommunikation mit den anrandenden und mitziehenden Einheimischen bleibt ein Lächeln. Ein Lächeln das sich noch bis zum Muskelkater steigern wird. Große Kinderaugen kleben an den Fenstern kleiner, graufassadiger Wohnlichkeiten. –Im Winkel einer Kurve erwarten uns Heißgetränke auf Bierbänken. Punsch? – Zögern muss die Gastfreundschaft aushalten, bis die Wagemutigen den Durstigen Entwarnung geben und überzuckerten Tee reichen. Für die meisten von uns ist der ebenfalls bereit stehende Glühwein keine Versuchung. Auch bunte Stoff-Beutel gefüllt mit kroatischen Reisebroschüren werden am Eingang zu einem Hinterhof ausgeteilt. Im Hof warten weitere Stände. Handbemalte Übertöpfe für Zimmerpflanzen werden geboten. – Ein Telefon klingelt unbeantwortet. Eine SMS wird nachgereicht. Ein Jobwechsel in der Schweiz. – Eine leuchtende Fassade, daneben urige Holzschuppen und ein angebundener struppiger Hund. Hier, das Geburtshaus, aus Stein neben dem Stall.


Die Verkündigung
Eine Treppe führt hinauf in den Gedenkraum. Ein Tisch, ein Bild, eine verhüllte Büste. Um die Treppe, die Schwelle stehen Mikrofone. Menschen verschiedener Zungen begrüßen, sprechen von Ost und West, sprechen von Dank und Liebe, sprechen von Vereinen und Aufbauen. Zwei Tauben fliegen zum Himmel und umkreisen uns in Wirbeln. Ein bienenwachsener Block wird als Grundstein der Wärme überreicht. "Während vorne Geburtstagsreden gehalten werden, lerne ich hinten beim Punsch ausschenken Strajek Vlado kennen. Strajek heißt "Onkel", so kann man ihn anreden. Ein bisschen Deutsch spricht er auch."


Das Opfer
Die Reden dauern an. Die Kälte in den Zehen steigt auf bis zum Rumpf und umfängt die durchnächtigten Leiber. Keiner weiss wie lange die Rituale andauern. Viele Einheimische sind verschwunden, wahrscheinlich in ihre warmen Stuben. In den wärmeren Gedenkraum dürfen immer nur Einzelne, dicht gedrängt. Ein Gästebuch nimmt sie auf und eine Schale nimmt die Spende für den Bau auf. Es ist dunkel. Nach den Gesängen werden wir zur Kirche geführt. Doch diese ist verschlossen. Die Messe im Innern ist noch im Gange. Schneidende Kälte dauert an. Langes Warten und Hoffen. Einzelne laufen drauf los um in wärmende Bewegung zu kommen. Andere schleichen in den Seiteneingang und hören die Gebete in fremden Lauten. Tiefer katholischer Geist leuchtet durch die Handlung.

Die Wandlung
Unerwartet öffnen sich die Tore. Bänke werden hereingetragen. Schnell füllt sich die Kirche. Von der Orgelballustrade bis zur Altarerhöhung wird alles zum Sitzplatz. Nur inmitten ein Raum, eine Bühne. Miha Pogacnik spielt die Violine. Spielt Bach. Spielt als würde er alles verdichten. Die besondere Gestimmtheit, alle Erwartungen, alle Fremdheiten, alle Wunden, alles was stirbt und doch nicht stirbt. Für Momente erklingt der ganze Raum, in seelischer Einheit. Nach den letzten Klängen herrscht langes Schweigen. Die ersten aufeinander schlagenden Hände, unterbricht der Violinist, in dem er zum Kreuz zeigt.

Das Gastmahl
"Komm Mädchen, trink einen Wein!" Als beim Festbuffet im Gemeindehaus die Band aufspielt – eine Komposition aus urigen Saiteninstrumenten und niedlichen Dorfkindern – hält mich nichts mehr am Tisch. Onkel Vlado, der das beobachtet, fragt mit seinen Augen: Willst Du tanzen? Klar will ich! Kannst Du denn tanzen, frag ich ihn. Er sagt nein. Doch dann tanzen wir einfach. Alles dreht sich, der Zug, die 200 Reisenden, die Leute aus dem Dorf, das große Essen –  alles verschwindet. Wir tanzen in kleinen kroatischen Hüpfschritten. Vlado, der das seit 30 Jahren macht, führt mich so, dass meine Füße ohne Widerspruch folgen. Er führt mich durch den Raum in eine andere Welt. Einzig, dass ich nicht wie er und die Kinder die traditionelle Tracht trage, lässt mich daran denken, dass der Abend kurz ist und wir bald wieder aufbrechen…

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

wunderbar, poetisch - wie schoen in gedanken dabeizusein; was es alles gibt auf der welt!

mit herzlichen gruessen, Marina

Anonym hat gesagt…

nää!

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RS 150 ON AIR – 24. bis 28. Februar 2011

Das Internet-Radio des Rudolf Steiner Geburtstagszuges Begleitet die fünftägige Reise von Köln über Kraljevec nach Wien und zurück. Fotos, wenn nicht anders erwähnt: © Roztocki | Schnelltexte: © Jonas von der Gathen, Philipp Tok, Maria Jacobi, Jordan Walker und andere.